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Kapitel 7

ARIA

Das sterile Summen des Labors klang leise im Hintergrund, während ich einen frischen Stapel Berichte durchblätterte. Das kalte Licht der Leuchtstofflampen warf einen kühlen Schein auf Glas und Stahl.

Ich war gerade mitten in einer Zusammenfassung über Cortisolspiegel, als die Stimme meines Kollegen die Stille durchbrach – lässig, fast gleichgültig, aber scharf genug, um mich innehalten zu lassen.

„Er geht in die Brunft,“ sagte er und reichte mir die neueste DNA-Analyse ohne Umschweife.

Mein Atem stockte.

Meine Finger zitterten leicht, als ich das Datenblatt entgegennahm. Meine Augen überflogen den Inhalt, obwohl mein Gehirn langsam zu verarbeiten schien.

Eine erstaunliche 99,9% genetische Übereinstimmung mit Menschen.

Ich las es erneut.

Und nochmals.

Fast perfekt.

Mein Herz pochte – laut, gleichmäßig, unsicher.

Wie?

Der Mann in der Isolationskammer – wild, schweigsam, immer mit diesen wilden Augen beobachtend – sollte das nicht sein.

Die Enthüllung war sowohl erstaunlich als auch beunruhigend.

Wie konnte jemand so urtümlich, so wild, unter all dem so nah am Menschlichen sein?

Er sollte nicht einer von uns sein.

Ich hatte ihn wie ein Exemplar katalogisiert, emotionale Distanz gewahrt und mich immer an die Grenze zwischen Subjekt und Wissenschaftler erinnert.

Aber jetzt?

Alles verschwamm.

Meine Finger umklammerten den Rand des Berichts, als ob ich mich daran festhalten könnte.

Das stellte nicht nur die Wissenschaft in Frage – es stellte mich in Frage.

Denn wenn er so nah am Menschlichen war, was bedeutete dann das seltsame Kribbeln in meiner Brust, wenn seine Augen mir folgten?

Was bedeutete es, dass ich begann, die Kurve seines Lächelns auswendig zu lernen – oder dass ich bemerkte, wie sich sein Atem änderte, wenn ich den Raum betrat?

Ich sollte beobachten, nicht fühlen.

Aber wie konnte ich nicht fühlen, wenn er mich so ansah?

Als sähe er etwas in mir, das niemand sonst sah.

Konzentriere dich, ermahnte ich mich innerlich und klammerte mich fester an das Papier. Er ging in die Brunft.

Das war wichtig.

Das bedeutete, dass ich vorsichtig sein musste.

Klinisch.

Objektiv.

Und doch wusste ich tief in meinem Inneren – etwas hatte sich bereits verschoben.

Die Grenze war nicht nur dünn jetzt.

Sie begann zu reißen.

Die Anweisungen, die folgten, waren klinisch, frei von Emotionen, aber schwer von Implikationen.

Ich sollte weiterhin regelmäßig Samenspenden während seines Paarungszyklus sammeln. Die Aufgabe war klar – kein Raum für Zögern, kein Platz für Sentimentalität.

Ich spürte das Gewicht der Aufgabe schwer auf meiner Brust liegen, als ich mich auf den Weg zurück zu der dunklen Kammer machte, in der er festgehalten wurde.

Die Luft war hier kühler, der schwache Geruch von Stein und Metall mischte sich mit etwas Dunklerem, etwas Lebendigem.

Aber etwas hatte sich verändert.

Die wachsame, tierische Anspannung, an die ich mich gewöhnt hatte, war verschwunden.

Er zuckte nicht mehr zusammen bei meiner Anwesenheit, seine Muskeln spannten sich nicht mehr an mit einem kaum verhohlenen Drang zu kämpfen oder zu fliehen.

Stattdessen, als ich eintrat, verzogen sich seine Lippen zu einem langsamen, unverkennbaren Lächeln.

Es war ein Lächeln, das seine Augen erreichte – warm, intelligent und erfüllt von etwas fast Menschlichem.

Sein Blick fixierte sich auf meinen, als würde er mich abwägen, mich auf eine Weise lesen, die mich gleichzeitig beunruhigte und faszinierte.

Die Augen, die einst vor wilder Wut brannten, funkelten nun mit einem stillen Feuer, scharf und lebendig.

Mein Herz setzte einen Schlag aus, die Veränderung in ihm löste einen Wirbel von Emotionen aus, die ich nicht vollständig benennen konnte.

Neugier.

Vorsicht.

Etwas Tieferes – ein seltsamer Sog, den ich in meinen Knochen spürte.

Zum ersten Mal fragte ich mich, ob dieser Zyklus alles zwischen uns verändern würde.

Unsere Interaktionen hatten sich anfangs subtil verändert, wie das langsame Drehen einer Flut, in die ich mich unbemerkt hineinbegeben hatte.

Die sterile Grenze, die ich einst zwischen uns gezogen hatte, begann zu verschwimmen, verwischt von unausgesprochenen Dingen.

Als ich ihm ein Glas Wasser reichte, streiften seine Finger meine, nur für eine Sekunde - aber es reichte, um meinen Puls schneller schlagen zu lassen. Seine Berührung war nicht rau oder zufällig.

Sie war absichtlich.

Neugierig.

Als ob er mich genauso genau studierte, wie ich ihn die ganze Zeit studiert hatte.

Er drehte seinen Körper zu mir, während ich mich im Raum bewegte, wie eine Sonnenblume, die dem Licht folgt. Als wäre ich das Licht.

Es beunruhigte mich mehr, als ich zugeben wollte.

Ich redete mir ein, es läge nur an der Brunst - der hormonellen Veränderung, die sein Verhalten beeinflusste und ihn dazu trieb, Nähe zu suchen.

Das war alles.

Das musste alles sein.

Und doch ertappte ich mich dabei, wie ich ihn spiegelte.

Mich ein wenig näher beugte.

Ein wenig leiser sprach. Seinen Blick ein wenig länger hielt als nötig.

Meine Logik suchte verzweifelt nach Halt, versuchte alles als berufliches Interesse abzutun.

Als Daten.

Aber mein Herz interessierte sich nicht für Daten.

Die Frage begann sich mit beunruhigender Häufigkeit in meine Gedanken zu schleichen:

Warum fühlt es sich an, als gehörte er in meine Welt? Als würde ich ihn nicht nur studieren, sondern ihn erkennen?

Ich untersuchte die Stelle einer älteren Wunde - was Wochen zur Heilung gebraucht hätte, war in Tagen verschwunden, als ob sein Körper sich weigerte, gebrochen zu bleiben.

Ich kniete neben ihm, die Augen vor Unglauben zusammengekniffen, die Finger tasteten sanft den Rand der nun glatten und intakten Haut ab.

Und dann geschah es - ein unschuldiger Moment wurde aufgeladen.

Der Saum meines Laborkittels verfing sich an der Ecke des Stuhls und riss mich zurück. Mein Gleichgewicht kippte -

  • und ich stolperte.

Direkt in ihn hinein.

Unsere Körper kollidierten, und für einen angehaltenen Herzschlag hielt alles still.

Seine Hände lagen auf meinen Armen, stabilisierten mich. Warm, stark.

Gegenwärtig.

Der Kontakt schickte einen Schauer durch meine Wirbelsäule, nicht aus Angst - sondern etwas Schlimmerem.

Etwas gefährlich Nahes an Verlangen.

Mein Atem stockte, und ich blickte auf. Er sah mich bereits an, sein Blick unergründlich - aber unbestreitbar aufmerksam.

Etwas ging zwischen uns vor.

Ein Flackern.

Eine Verschiebung.

Was machst du da, Aria? schrie eine Stimme in meinem Hinterkopf.

Aber mein Körper hörte nicht zu.

Und anscheinend auch nicht mein Herz.

Ich stürzte nach vorne mit einem erschrockenen Keuchen, der Atem blieb mir scharf im Hals stecken, als mein Gleichgewicht unter mir nachgab.

Bevor ich überhaupt denken konnte, flogen meine Arme nach vorne - griffen nach ihm, die Hände breiteten sich über seiner Brust aus.

Mein Körper prallte gegen seinen, jeder Zentimeter von mir drückte sich gegen die feste, unnachgiebige Wärme von ihm.

Mein Puls donnerte in meinen Ohren.

Er fing mich sofort auf. Ohne Zögern. Seine Arme schlangen sich mit einer schützenden Stärke um mich, die einen Schauer über meinen Rücken jagte. Es war nicht nur Reflex - es war Instinkt.

Natürlich.

Als ob sein Körper meinen bereits kannte.

Und schlimmer noch... es fühlte sich richtig an.

Ich erstarrte.

Brust an Brust.

Atem verflochten.

Sein Duft umgab mich - erdig, wild, berauschend - und für einen schwindelerregenden Moment konnte ich mich nicht erinnern, warum ich jemals versucht hatte, Abstand zu halten.

Seine Hände ließen nicht los.

Nicht sofort.

Eine Hand breitete sich über meinem unteren Rücken aus, verankerte mich an ihm.

Die andere glitt mit leiser Gewissheit meinen Rücken hinauf, nicht besitzergreifend - aber sicher.

Als gehörte ich dort hin.

Meine Finger krallten sich unbewusst in sein Hemd. Ich sprach nicht.

Konnte nicht.

Mein Herz schlug zu laut, meine Gedanken waren zu verwirrt.

Aber tief in mir regte sich etwas Primitives. Etwas Uraltes.

Ich trat schnell zurück.

Zu schnell.

Meine Hände fielen herab, meine Wangen waren gerötet, meine Stimme blieb mir im Hals stecken.

Aber seine Augen verließen mich nicht.

Und meine... wollten das auch nicht.

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