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Kapitel 4

ARIA

Langsam regte ich mich, meine Glieder schwer, als ob sie von einem dichten, erstickenden Schlaf beschwert wären.

Meine Wimpern flatterten auf, und ich sah die sterile weiße Decke über mir.

Das Licht war weich, aber kalt, klinisch – nichts wie die dunkle Kammer, in der ich das Bewusstsein verloren hatte.

Mein Kopf pochte mit einem dumpfen, anhaltenden Schmerz, und mein Hals fühlte sich trocken und kratzig an.

Wo bin ich…?

Plötzliche Erinnerungsblitze trafen mich wie ein Blitzschlag: ein dunkler Raum.

Ketten. Hitze. Seine Augen. Meine Hände. Mein Mund. Meine Scham.

Mit Mühe drehte ich meinen Kopf – mein Nacken war steif – und sah den Doktor neben dem Bett stehen.

Sein Gesicht war ruhig, aber unter der Oberfläche lag ein Hauch von Besorgnis.

„Ah, Sie sind wach“, sagte er, seine Stimme eine geübte Mischung aus Autorität und Mitgefühl.

„Sie haben uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Aber ich habe gute Nachrichten – unsere Untersuchungen haben nichts Ungewöhnliches ergeben. Ihr Körper funktioniert, wie er sollte.“

Ich blinzelte ihn an und versuchte, den Nebel in meinem Kopf zu vertreiben.

Die Worte drangen kaum zu mir durch.

Nichts Ungewöhnliches?

Ich hätte fast gelacht.

Wie konnte er das sagen, wenn sich nichts mehr normal anfühlte?

Mein Körper fühlte sich nicht mehr wie meiner an – nicht seitdem ich diese Kammer betreten hatte.

Und funktionierte, wie er sollte?

Nein. Das war nicht richtig.

Das erklärte nicht, warum mein Körper mich verraten hatte.

Warum wollte er ihn?

Einen völlig Fremden.

„Ich…“ Meine Lippen öffneten sich, meine Stimme war heiser.

„Was ist mit mir passiert?“ fragte ich, meine Stimme leise und zittrig, während meine Finger die Decke um meine Beine drehten.

„So verhalte ich mich nicht… nie. Ich habe noch nie so etwas gefühlt. Es fühlte sich nicht einmal wie ich selbst an.“

Meine Worte kamen hastig und zitternd vor Unglauben heraus.

„Es war, als würde ich jemand anderen in meinem Körper beobachten – Dinge tun, an die ich nicht einmal denken sollte. Ich konnte nicht aufhören. Ich wollte nicht aufhören. Warum würde ich… warum würde ich so etwas tun?“

Der Doktor antwortete nicht sofort.

Er stand am Fußende des Bettes, die Arme verschränkt, sein Gesichtsausdruck undurchdringlich.

Sein Schweigen drehte mir den Magen um.

Urteilte er über mich?

Dachte er, ich sei kaputt?

Oder schlimmer – wusste er etwas, das er mir nicht sagte?

Ich schluckte schwer und zwang mich, ihm in die Augen zu sehen.

Er sprach schließlich, gemessen und klinisch.

„Wir überprüfen noch die Daten, aber es gab keine Hinweise auf Giftstoffe oder hormonelle Manipulation. Es scheint, dass Ihre Reaktion… spontan war.“

„Spontan?“ wiederholte ich, der Unglaube scharf in meiner Stimme.

„Sie wollen sagen, ich habe mich entschieden, mich so zu verhalten? Dass ich wollte—“

Ich brach ab, als die Erinnerung an meinen Mund auf der Brust des Fremden in meinen Gedanken aufblitzte.

Meine Wangen brannten.

„Nein. Das ist nicht richtig. Etwas ist mit mir in diesem Raum passiert. Ich hatte keine Kontrolle. Es fühlte sich an, als wäre etwas in mir einfach… durchgedreht.“

Ich rieb meine Arme, als könnte ich die Erinnerung abwaschen.

„Ich weiß nicht einmal, wer ich in diesem Moment war.“

Ich wandte mein Gesicht ab, die Hitze stieg mir in die Wangen – nicht nur vor Verlegenheit, sondern vor Scham.

Ich erinnerte mich, wie meine Finger die Linien seiner Brust nachgezeichnet hatten, wie die Muskelstränge unter meiner Berührung gezittert hatten.

Der Geschmack seiner Haut.

Die Hitze von ihm.

Und schlimmer noch, das Bedürfnis, das mich durchflutete, ließ mich Vernunft und Kontrolle vergessen.

Ich hatte ihn gewollt.

Verzweifelt. Roh. Beschämend.

Und es erschreckte mich.

Wie konnte ich so forsch gewesen sein?

So hemmungslos?

Ich hatte noch nie so etwas getan, und die Erinnerung an mein Verhalten ließ mich sowohl beschämt als auch seltsam aufgeregt zurück.

Der Doktor bemerkte mein Unbehagen und lenkte das Gespräch schnell um.

„Da Sie nun wach sind, gibt es einige Dinge, die wir besprechen müssen. Alle zukünftigen ‚Probenahmen‘ werden Ihre Verantwortung sein. Sie scheinen eine einzigartige Verbindung zu unserem Subjekt zu haben, und Ihre Anwesenheit scheint förderlich für seine… Genesung zu sein.“

Mein Blick schnellte zu ihm zurück.

„Was?“ fragte ich, schärfer als beabsichtigt.

„Probenahmen?“

„Ja“, antwortete der Doktor sachlich.

„Sie müssen sich um seine Bedürfnisse kümmern und sein Wohlbefinden sicherstellen. Das ist entscheidend für unsere Forschung.“

„Aber—“

„Es ist Vorschrift“, sagte er sanft, aber mit Endgültigkeit.

„Er hat auf Sie… einzigartig reagiert. Keiner unserer anderen Betreuer hat eine so starke physiologische Verbindung ausgelöst. Der Vorstand glaubt, dass ein konsistenter Kontaktpunkt helfen könnte, sein Verhalten zu regulieren.“

Ich öffnete den Mund, um zu protestieren, fand aber keine Worte.

Was konnte ich sagen?

Hatte ich mich praktisch einem Versuchskaninchen an den Hals geworfen?

Ich war mir nicht sicher, wer ich in diesem Raum gewesen war.

Also nickte ich steif.

……

Am nächsten Morgen stand ich vor der verstärkten Tür zur unteren Kammer und versuchte, mein rasendes Herz zu beruhigen.

Diesmal waren die Lichter an.

Keine Schatten.

Kein Geheimnis.

Aber das Unbehagen, das sich in meinem Bauch ausbreitete, wurde nicht weniger.

In dem Moment, als sich die Tür öffnete, traf mich eine sterile Brise, die mit einem schwachen Kupfergeruch – Blut – durchzogen war.

Meine Augen kämpften, sich anzupassen, und als sie es endlich taten, schnappte ich nach Luft, meine Hand flog zu meinem Mund, als das ganze Grauen seines Körpers in den Fokus rückte.

Er hing immer noch, gefesselt von dicken Ketten, die in die Wand verankert waren, seine massive Gestalt leicht nach vorne gebeugt.

Aber jetzt, im harten Licht gebadet, war jede brutale Markierung unbestreitbar – dunkle Blutergüsse blühten über seinen Rippen wie wütende Stürme, lange Striemen zogen sich in gezackten Linien über seinen Rücken, und tiefe Schnitte, verkrustet mit getrocknetem Blut, rissen in seine Haut.

Sein Fleisch war eine brutale Leinwand der Gewalt, jede Wunde erzählte eine Geschichte von Qual, die ich irgendwie zuvor übersehen hatte.

„Oh mein Gott…“, flüsterte ich, mein Herz raste, während eine Welle von Übelkeit mich zu überwältigen drohte.

Ohne nachzudenken, drehte ich mich um und eilte zum Versorgungsschrank, meine Finger zitterten, als ich das Erste-Hilfe-Set griff, das kalte Plastik fühlte sich surreal in meinen zitternden Händen an.

Zurück an seiner Seite kniete ich nieder, meine Finger zitterten, als ich das Antiseptikum öffnete, mich darauf vorbereitend, den Schmerz in seiner Haut zu konfrontieren.

Dann—

Ein scharfer Atemzug.

Seine Augen, die geschlossen gewesen waren, sprangen auf und fixierten mich mit einem räuberischen, wachsamen Blick.

In seinen Augen war eine Wildheit – ein roher, animalischer Hunger, der mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte.

Ich erstarrte.

Das antiseptische Pad zitterte zwischen meinen Fingern, schwebte nur wenige Zentimeter von seiner geschundenen Haut entfernt.

Mein Atem stockte, als sein Blick sich in meinen bohrte – scharf und unbeweglich, wie ein Raubtier, das seine Beute mustert.

„Ähm… hallo“, sagte ich, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.

„I-Ich wollte nur… du bist verletzt, und ich dachte, ich sollte…“

Meine Worte verhedderten sich und fielen unter dem Gewicht seines Schweigens auseinander.

Seine Augen fielen kurz auf das Pad in meiner Hand, dann hoben sie sich langsam wieder zu meinen, unergründlich.

„Ich werde dir nicht wehtun“, platzte es aus mir heraus, meine Hände leicht hebend, das Pad immer noch zwischen meinen Fingern.

„Ich bin nur hier, um dir zu helfen“, fügte ich hinzu und zwang mir ein schwaches Lächeln ab, obwohl mein Puls in meinen Ohren hämmerte.

Er sagte nichts.

„Ich werde nur deine Wunden reinigen… okay?“

Ich bewegte mich langsam, meine Hände zitterten, als ich nach den mitgebrachten Materialien griff.

Seine Augen verfolgten jede Bewegung wie ein Wolf, der seine Beute einschätzt – oder vielleicht etwas anderes.

Neugier. Hunger. Wiedererkennung?

Er erinnert sich an mich.

Ich bewegte mich vorsichtig, um ihn nicht zu erschrecken. Seine Augen folgten mir, scharf und intensiv, was meine Haut prickeln ließ.

Ich reinigte seine Wunden langsam, versuchte, mich zu konzentrieren.

Meine Hände waren ruhig, aber mein Herz nicht.

Die Art, wie er mich beobachtete – still, intensiv – ließ die Luft schwerer erscheinen.

Trotzdem zog er sich nicht zurück.

Es war etwas zwischen uns jetzt. Nicht ganz Vertrauen, aber nah dran.

Selbst verletzt und gefesselt strahlte er eine stille Stärke aus, die mich beunruhigte… und doch seltsam sicher fühlen ließ.

„Du bist nicht das, was ich erwartet habe“, sagte ich leise, mehr zu mir selbst als zu ihm.

„Ich weiß nicht, was sie dir angetan haben, aber…“

Er bewegte sich so subtil, dass ich es fast verpasste.

Sein Kopf neigte sich, die Nüstern blähten sich, als ob er einen Duft aufnahm.

Dann fühlte ich es.

Sein Atem war an meinem Hals.

Ich versteifte mich.

Er riecht an mir.

Mein Blut gefror.

Bevor ich reagieren konnte, zog er seine Zunge über die empfindliche Haut meines Halses, die raue Textur jagte mir Schauer über den Rücken.

Es war intim. Eindringlich. Seltsam erregend.

Niemand hatte mich je so berührt, und die ursprüngliche Natur seiner Handlung ließ mich atemlos zurück.

Meine Hand flog zu meinem Hals, meine Finger zitterten.

„W-Was machst du da?“ keuchte ich, meine Stimme kaum mehr als ein Hauch.

Er antwortete nicht.

„Bitte“, flüsterte ich, meine Stimme brach.

„Tu das nicht…“

Das ließ ihn innehalten.

Seine Brauen zogen sich zusammen, ein Hauch von Verwirrung huschte über sein Gesicht, als ob er meine Angst nicht verstand.

Dann, langsam, lautlos, lehnte er sich näher – nicht bedrohlich, sondern neugierig.

Seine Nase strich an der Seite meines Halses entlang, warm und eindringlich, als ob er meinen Duft einprägen wollte.

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